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CHRISTIAN ROECKENSCHUSS  (1929–2011)

„Ich bin auf die Kühle einer technischen Zeit aus, auf das Universale! Ich will weg vom Persönlichen und Begrenzten.“

Ein früher Vertreter des Minimalismus in Europa und der Avantgarde der abstrakten Nachkriegskunst.

Christian Roeckenschuss wurde 1929 in Dresden geboren. Von 1948 bis 1951 studierte er in Dresden Klavier und Gesang. 1951 ging er nach West-Berlin und studierte Malerei an der Hochschule der Bildenden Künste (1951-1957). Er besuchte die Klasse des vom Bauhaus inspirierten Zeichners und Metallbildhauers Hans Uhlmann (1900-1975) und wird Meisterschüler des abstrakten Künstlers Alexander Camaro (1901-1992). Dessen Arbeiten sind durch mathematische Genauigkeit und scharf umrissene Formen sowie Zeichen charakterisiert. Inspiriert von Camaro und orientiert an der klassischen (abstrakten) Moderne führt Roeckenschuss‘ künstlerischer Weg, der anfangs noch bestimmt war von figurativen Motiven und der Auseinandersetzung mit der surrealistischer Malerei, zur Konstruktiven Kunst und zur Minimal Art. Kunst vom Gegenstand befreit und auf klare Farben, geometrische Formen (Kreise und Quadrate) und Ordnungssysteme (Raster) reduziert, ist schließlich das Thema, das Christian Roeckenschuss ein Leben lang nicht loslassen wird.


„Zur abstrakten Kunst führte mich ein ganz eigener Weg“ [1], beschreibt Roeckenschuss 2011 seine künstlerische Entwicklung in einem Brief. „Ich hatte eine große Vorliebe für Piet Mondrian und Hans Arp, dem ich in Meudon, Frankreich, begegnete. Mich interessierte auch Lucio Fontana, den ich in Mailand getroffen habe. Eine Verbundenheit gab es auch mit den Künstlern der geometrischen Abstraktion und der Minimal-Art. Und einen Einfluss auf meine Arbeit hatte auch die OP-ART mit ihren Systemen. Aber mit meinen eigenen Empfindungen fühlte ich mich mehr zu Europa hingezogen. Und dort liegt auch mein Fühlen und Denken.“ [2]

Roeckenschuss experimentierte in seiner abstrakten frühen Entwicklungsphase in den späten 1950er Jahren mit Rechtecken, Kreisen und signalhaften Gebilden, deren Farben (meist Lacke) – von der Pop-Art inspiriert – oft stark miteinander kontrastieren. In den 1960er Jahren ist sein Anliegen „über das Gerüst von Geometrie und Systematik, einen persönlichen Ausdruck zu finden, der sich besonders in der Farbe manifestiert. So sollen sich gleichsam dort das Unbewusste und die Imagination entfalten.“[3] Er arbeitet an Bilderreihen, in denen es um die ausgeklügelte Organisation punktischer Bildelemente ging. 1974 beginnt Roeckenschuss unter dem Titel „séquences chromatiques“ eine Serie von streng vertikal angelegten Streifenbildern. Der Künstler malte oder collagierte Reihungen vertikaler farbiger Streifen. In einigen Bildern sind diese Streifen schmal und lang, in anderen breit und kurz. Mal sind die Streifen äußerst präzise aneinander gefügt, manchmal gibt es freie Zonen zwischen ihnen. Aber immer stehen die Streifen in einem raffinierten mathematischen System zueinander. Ab 1998 entstehen großflächige Werke mit Holographie-Effekten, stets auf quadratischem Format. In dieser Zeit realisiert Roeckenschuss auch Collagen mit Gold- und Silbereffekten, die sich durch die Bewegung des Betrachters verändern.


„Die Farbnuancen selbst sind in ihrer räumlichen, symbolhaften, emotionalen und psychologischen Wirkung genau kalkuliert. Sie bilden eine harmonische Abfolge, von hell zu dunkel oder umgekehrt. Oder sie bilden eine Interaktion von Farben, deren delikate Kombinationen und subtiles Spiel mit der Leuchtkraft von Farben und der Intensität von hellen oder sich verdunkelnden Zonen eine Vielzahl von Reaktionen beim Betrachter bewirken. Sie können Auslöser sein von Kontemplation oder Meditation. Und ihre illusionistische Raumwirkung kann zu Irritationen, Vibrationen oder beispielsweise auch zur Vorstellung optischer Klänge führen – oder sogar zur Auffassung, eine psychisch spürbare Energie wirke auf den Betrachter ein.


Roeckenschuss selbst hat seine Bilder als lyrisch bezeichnet – „denn die (klassische) Musik hatte mich von frühen Jahren her beeinflusst, der Ton, die Nuance, letztendlich die Farbe!“.[4] Er selbst nannte seine monochromen Farbstreifenbilder „séquences chromatiques“ – Farbstufenbilder. „Die Farbe drückt meist schon mein Anliegen aus – das schließt kaum hörbare oder sehbare Farbtöne ein.“ [5]


Roeckenschuss‘ Œuvre war von Anfang an fundamental mit dem Aspekt des Lichts verbunden. Das äußerte sich sowohl in der frühen künstlerischen Auseinandersetzung mit Plexiglas und sich daraus ergebenden Spiegeleffekten als auch in den Streifenbildern der 1970er bis 2010er Jahren in denen Licht und Schatten eine primäre Rolle spielen. Im Spätwerk entstanden metallic-glänzende Arbeiten aus industriellen Materialien (Folien), in denen wiederum das Licht und Lichtreflexionen thematisiert wurden.


In den 1960er Jahren zählt Roeckenschuss zur selbstbewussten aufstrebenden jungen Berliner avantgardistischen Künstlergeneration. Zu der Zeit hat er sein Atelier im Hochhaus Dudenstraße, Tempelhof. Ein Journalist der Illustrierten Berliner Zeitung interviewt den selbstbewussten Künstler 1961. “Christian Roeckenschuss ist ein guter Anwalt seiner Ideen“, schreibt der Reporter, „denn er kann präzise formulieren, was er mit seinen Form- und Farbgebilden, den Rechtecken, verfugten Senkrechten und Waagerechten meint: „Ich will den Raum interpretieren, das Nichts einer Fläche so ordnen, dass sie unausweichlich harmonisch wird. Ich bin auf die Kühle einer technischen Zeit aus, auf das Universale. Ich will weg vom Persönlichen und Begrenzten“, entgegnete Roeckenschuss dem Journalisten auf die Frage nach seiner künstlerischen Intention.[6]

Schon in den frühen Schaffensjahren entwickelt Roeckenschuss sein künstlerisches Konzept, das auf einem wesentlichen Anliegen der Minimal Art beruht – der Definition zwischen Bild und räumlich-architektonischer Beziehung. Er verbindet seine freie Malerei mit Auftragsarbeiten für den öffentlichen Raum. Es waren klare aus seiner Malerei hervorgehende Entwürfe, die Roeckenschuss in Zusammenarbeit mit namhaften Architekten – Poelzig, Scharoun, Hundertmark u.a. – in plastische oder räumliche Zusammenhänge brachte. Schon am Anfang seiner Karriere stehen monumentale Auftragsarbeiten an öffentlichen Gebäuden. Und schon in seinen Anfangsjahren als freischaffender Künstler war Roeckenschuss ein gefragter Kunst-am-Bau-Künstler. Unter anderem entstehen 1968/70 neun Wandbilder für das Spital „Am Urban“ in Berlin, 1970/72 ein Relief für die Schule „Märkisches Viertel“ Berlin, 1973 ein Plastikrelief im Märkischen Viertel, 1974/75 gestaltet Roeckenschuss die Außenfassade der Treppentürme eines Appartementhauses in Lübeck und 1976/77 realisiert er für die Bundesbaudirektion ein Wandrelief im Gästehaus der Villa Borsig auf der Insel Reihenwerder.


Die (abstrakte) Kunstlandschaft Berlin prägte Roeckenschuss in den Nachkriegsjahren auch mit der Berliner Künstlergruppe „Systhema“, mit deren Künstler er zusammen ausstellte und denen er nahe stand. Dieser internationalen Gruppierung gehörten unter anderem der Engländer Peter Sedgley, der Amerikaner George Rickey und der Tscheche Jan Kotik an. Systhema wurde 1974 unter dem vorläufigen Namen ‚System in Berlin‘ gegründet – und zwar als ‚Gegenpart zum vorherrschenden Neo-Realismus der Nachkriegszeit‘.[7] International trat die Gruppe durch Ausstellungen, zum Beispiel in Helsinki (Kunstmuseum Amos Anderson, 1977) und Bern (Loeb-Galerie, 1978) in den Fokus des Kunstgeschehens. Der international hoch angesehene Schweizer Kurator und documenta-Leiter Harald Szeemann unterstrich die Bedeutung der Künstlergruppe noch dadurch, dass er die Berner Ausstellung persönlich kuratierte. In Richard Paul Lohse, einem der bedeutendsten Konkreten der Nachkriegszeit, hatte Systhema einen herausragenden Wegbereiter und Freund.


Einzelausstellungen und Gruppenausstellungen machen Roeckenschuss‘ Werk in Europa und auch in den USA (New York) bekannt. Unter dem Titel „13 Konkrete“ stellt ihn der Ulmer Kunstverein 1964 aus, zusammen mit so berühmten Künstlern der Klassischen Moderne wie Friedrich Vordemberge-Gildewart oder dem Bauhauskünstler Josef Albers. Die Ausstellung würdigt ihn neben Günter Fruhtrunk und Richard Paul Lohse als einen der führenden Nachkriegskonstruktivisten und Minimalisten. Die Ausstellung „Minimalism and After“ (DaimlerChrysler Contemporary, 2004) in Berlin würdigt Roeckenschuss‘ künstlerische Arbeit auch im Rahmen des künstlerischen Dialogs Europa/Amerika in der Nachkriegszeit.[8]

Als frühen Vertreter eines konstruktiv verankerten Minimalismus wird Christian Roeckenschuss mit namhaften Künstlern der amerikanischen Avantgarde wie Jo Baer, Alexander Libermann und Illya Bolotowsky auf eine Stufe gestellt. In Erfurt stellte Christian Roeckenschuss 2006 zusammen mit Günter Uecker und Karl-Heinz Adler aus. Die retrospektiv angelegte Ausstellung „Minimalism Germany 1960“ im Haus Huth (Berlin, 2010) würdigte Roeckenschuss als einen der bedeutendsten Minimalisten der Nachkriegszeit zusammen mit Josef Albers, Hanne Darboven, Heinz Mack und Franz Erhard Walther. Ausstellungen in Paris, Venedig, London, Köln, Berlin oder New York bringen schließlich den Durchbruch zum internationalen Erfolg. Werke des 2011 verstorbenen Künstlers sind inzwischen in zahlreichen Museen vertreten – unter anderem in der Sammlung des Museum Of Modern Art (MoMA, New York), im Museum für Konkrete Kunst (Ingolstadt) und der Daimler Art Collection (Berlin).  


In diesem Jahr wird Christian Roeckenschuss in der Berliner Ausstellung „Serielle Formationen. Frankfurt 1967 – Re-Inszenierung der ersten deutschen Ausstellung internationaler minimalistischer Tendenzen“ (03.06.–05.11.2017, Daimler Art Collection) gezeigt und gewürdigt.

1     Brief an den Architekten Prof. Dieter Georg Baumewerd, 17. März 2011 (aus dem Nachlass)
2     ebda
3     Brief Dr. Ariane Grigoteit, Direktorin und Leiterin der Kunstsammlung der Deutschen Bank
4     ebda
5     Siehe Anmerkung 1
6     Illustrierte Berliner Zeitung, 09 / 1961
7     Systhema, Ausstellungskatalog, Berlin, 1978
8     Minimalism und After“, DaimlerChrysler Contemporary, Ostfildern Ruit, 2004

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